Aufstand für den Klimaschutz

Von Christine Tragler · · 2019/Sep-Okt

Kein Thema mobilisiert derzeit mehr Menschen als der Kampf für das Klima. Wie Blockaden, Schulstreiks und Baggerbesetzungen gegen die Klimakrise wirken.

Von Christine Tragler

Sie haben die Bahngleise besetzt. Auf der Kohlebahn unweit des Kraftwerks Neurath des Stromerzeugers RWE stehen alle Züge still. Deutschlands größtes Braunkohlekraftwerk kann keine Kohle mehr verbrennen. Die Zulieferwege sind zwei Tage lang blockiert. Hanna Weber* sitzt auf den Gleisen, gemeinsam mit tausenden anderen KlimaaktivistInnen. Sie ist Ende Juni aus Wien angereist, um beim Klimacamp von „Ende Gelände“ im Rheinland teilzunehmen.

Vom Arabischen Frühling am Tahrir-Platz in Kairo 2011 über die  globale Occupy-Bewegung bis hin zur zivilen Seenotrettung im Mittelmeer wie zuletzt durch das Schiff Sea-Watch – widerständiger Protest ist immer wieder präsent. Ganz aktuell vor allem durch die Klimabewegung.

Mit Erfolg: Politik und Medien setzen sich so stark mit dem Thema Klimaschutz auseinander wie lange nicht.

Das 2015 gegründete Bündnis „Ende Gelände“ fordert den sofortigen Ausstieg aus der Kohleenergie und hat dafür die Aktionsform des zivilen Ungehorsams gewählt. Eine Entscheidung, die auch Klimaaktivistin Weber gut heißt: „Es braucht diesen radikalen Protest, weil in der derzeitigen Politik nichts passiert, um den Klimawandel aufzuhalten.“

Die 27-Jährige, die sich in Österreich bei der Initiative „System Change, not Climate Change“ engagiert, ist überzeugt: Würde man die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz ernst nehmen, also die Begrenzung der Erderwärmung auf unter 1,5 Grad, dann müsste die Politik in vielen Bereichen radikale Maßnahmen setzen – und sie müsste die Energieversorgung emissionsfrei gestalten.

Fest steht: Die Verbrennung von Kohle ist die klimaschädlichste Form der Energiegewinnung. Vier der zehn größten Kohleenergieerzeuger Europas produzieren hauptsächlich in Deutschland, das rheinische Braunkohlerevier gilt als die größte CO2-Quelle auf dem Kontinent.

Ziviler Ungehorsam nach Habermas

Der bedeutende deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas definiert zivilen Ungehorsam folgendermaßen: „Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“

Jürgen Habermas (1983), Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat.

Dass Deutschland weiter ausharrt und erst im Jahr 2038 aus der Kohleenergie aussteigen will, wie Anfang des Jahres im sogenannten Kohlekompromiss beschlossen, ist für die Klimaaktivistin „ein Schlag ins Gesicht“. Es sei traurig, dass PolitikerInnen nicht den Mut hätten, sich gegen die Interessen der Industrie zu stellen. Dieser Beschluss ist nicht demokratisch zustande gekommen, sagt sie. Nach all den Demonstrationen, Petitionen und Appellen steht für Weber außer Zweifel: „Der letzte mögliche Weg ist, dorthin zu gehen, wo die Zerstörung passiert, und mit dem eigenen Körper zu blockieren.“

Historische Anleihen. Für Mahatma Gandhi war ziviler Ungehorsam ein Grundprinzip. Die Suffragetten erkämpften sich damit das Wahlrecht. Auch der US-Bürgerrechtler Martin Luther King war davon überzeugt, dass er die Mächtigen im Staat nicht mit Argumenten umstimmen wird können. Und Rosa Parks stand gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung auf, indem sie im Bus sitzen blieb und damit einen Boykott auslöste.

Die Geschichte der Praktiken der Subversion, des Widerstands und der Verweigerung „ist eine lange Geschichte, bis in die Antike zurückreichend“, erklärt Christoph Reinprecht. „Und oftmals von Frauen getragen“, so der Soziologe von der Uni Wien.

Auch in Bezug auf Umwelt, Natur und Tierwelt hat ziviler Ungehorsam Tradition, wie etwa über die Jahre Aktionen von Greenpeace mit ihren „Rainbow Warrior“-Schiffen oder der Besetzung von Ölplattformen zeigen.

Als historische VorläuferInnen in Bezug auf zivilen Ungehorsam generell werden gerne Namen wie Antigone oder Sokrates referiert, aber erst Henry David Thoreau habe Reinprecht zufolge mit seinem 1849 abgedruckten Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ zivilen Ungehorsam „als Programm formuliert und in diesem Sinne theoretisiert“.

In Abgrenzung zur individuellen Gehorsamsverweigerung, etwa bei Deserteuren, für die das Gewissen zentral ist, handelt es sich bei zivilem Ungehorsam um eine gewaltlose Praxis einer Gruppe, erklärt der Soziologe. Als Definition zieht er jene von Jürgen Habermas heran (siehe Kasten), der zivilen Ungehorsam als Bestandteil einer „reifen demokratischen Kultur“ verstand.

Gut organisiert. Rund 6.000 zivile Ungehorsame beteiligten sich laut Angaben von „Ende Gelände“ an der diesjährigen Aktion in Nordrhein-Westfalen. Solidarisch erklärten sich andere Initiativen sowie 40.000 SchülerInnen, die am selben Juniwochenende bei der bisher größten internationalen „Fridays for Future“-Demonstration in Aachen auf die Straße gingen. „Ziviler Ungehorsam ist kein Selbstzweck, sondern eingebettet in andere Protestformen“, sagt Laura Grossmann. Auch sie ist Teil der österreichischen Initiative „System Change, not Climate Change“. Derzeit arbeitet sie an einem Sammelband zum Thema ziviler Ungehorsam, der im Herbst im Mandelbaum Verlag erscheinen soll.

Wie viel an Vorarbeit im zivilen Ungehorsam steckt, werde oft wenig beachtet. Schön sei, dass es so viel Austausch mit den neuen Gruppen „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ gebe. Letztere haben sich 2018 in London gegründet und blockieren nunmehr in vielen Ländern Straßen und Brücken. „Im Idealfall arbeiten alle diese Gruppen zusammen und man nützt die jeweiligen Stärken. Die Ziele sind ähnlich“, sagt Grossmann.

Was ziviler Ungehorsam bewirken kann? In jedem Fall mediale Aufmerksamkeit. „Die Wirkung ergibt sich über Bilder und ihre Spiegelung in den sozialen Medien. Erst diese erzeugen den politischen Druck, der vielleicht etwas verändert“, sagt Daniela Ingruber, Politikwissenschaftlerin des Austrian Democracy Labs, einem Forschungsprojekt der Donau-Uni Krems und der Uni Graz. Wichtig sei, dass darüber gesprochen werde und man öffentliches Bewusstsein generiere. Das stärke Interesse und Verständnis in der Bevölkerung. Ingruber: „Proteste und auch ziviler Ungehorsam gehören durchaus zur Partizipation in einer Demokratie.“

Protest trifft Gesetzeshüter. In Österreich gibt es derzeit noch keine groß angelegten Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei „Ende Gelände“ in Deutschland, sagt Aktivistin Grossmann. Was die Gruppe „Ende Geländewagen“, die sich gegen den motorisierten Individualverkehr stark macht, beim Klimaaktionstag Ende Mai in Wien begonnen hat, war als Übernacht-Besetzung angelegt. Es dauerte allerdings nur vier Stunden, bis die Blockade von der Polizei geräumt wurde – unter Einsatz massiver Gewalt.

Videos kursierten, die zeigen, wie der Kopf eines Aktivisten von Beamten unter einen Polizeiwagen gedrückt wurde. Auf einer anderen Aufnahme wird einem Mann in Bauchlage am Boden von fünf Polizisten fixiert in die Nieren geboxt. „Das Schlimme an der Polizeigewalt ist, dass sie sehr willkürlich eingesetzt wird“, erzählt Grossmann. Und sie kann auch in der Folge Probleme bringen: „Wenn man eine Klage am Hals hat, bedeutet das oft viele Jahre Verhandlungen und viel Geld – selbst wenn man freigesprochen wird.“

Was Polizeigewalt anbelangt, ist auch Klimaaktivistin Weber desillusioniert. Klar hätte sie manchmal vor einer Aktion Angst, aber: „Es ist unsere Aufgabe. Wir sind die letzte Generation, die etwas tun kann“, sagt sie.

Das sieht Grossmann von „System Change, not Climate Change“ ähnlich:  Immerhin sei es ein „unsägliches Privileg, hier in Europa zu leben – und in einem Land, wo nicht auf DemonstrantInnen geschossen wird“. Das sei auch ein Argument dafür, auf die Barrikaden zu gehen für diejenigen, die diese Möglichkeit nicht haben.

Diese solidarische Haltung teilen beide Aktivistinnen: „Wir im reichen Österreich haben es noch relativ gut“, so Weber. „Wenn die Sommer immer heißer werden, kaufen wir einfach mehr Klimaanlagen – und heizen damit das Klima noch mehr auf. Aber im globalen Süden versalzen die Böden und versinken die Inseln – dort müssen die Menschen bereits vor der Klimakrise flüchten.“ Beide bereiten sich derzeit auf weitere Aktionen vor – auch in Österreich.

*Name von der Redaktion geändert

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